„Lies mal! – Oh, nein, kann ich nicht!“ – Wenn Analphabeten ausgegrenzt werden…

Wer jetzt denkt, Analphabetismus gäbe es nur in Entwicklungsländern, liegt völlig falsch, denn allein in Deutschland leben mehr als 7 Millionen Analphabeten – eine ganze Menge also. Aber wie kann das eigentlich sein, wenn doch alle eine Schule besuchen müssen?

Als Nachklapp des „Tages der Analphabeten“ (immer am 08. September eines jeden Jahres) möchte ich heute einen kurzen Gedankengang daran verschwenden, ob Analphabeten denn eurer Meinung nach hier bei uns im „fortschrittlichen“ Deutschland ausgegrenzt werden und warum es trotz Schulpflicht überhaupt welche gibt.

Wer glaubt Analphabetismus heißt, dass jemand gar nicht schreiben und lesen kann, liegt nicht ganz richtig, denn den „totalen Analphabetismus“ gibt es eigentlich kaum bis gar nicht bei uns. Aber woher kommen dann die Millionen?

Es mangelt den rund 7,5 Millionen Deutschen zwischen 18 und 64 Jahren in großem Maß an Schriftsprachekenntnissen. Genauer: Knapp fünf Millionen können nur einzelne, kurze Sätze lesen und schreiben, weitere zwei Millionen kommen über einzelne Wörter nicht hinaus, und etwa 300.000 Menschen scheitern selbst daran. Sie alle gelten als sogenannte „funktionale Analphabeten“. Das bedeutet, ihre Fähigkeiten zu lesen und zu schreiben sind so schwach ausgeprägt, dass sie nur mit Mühe am gesellschaftlichen Leben teilnehmen können (z.B. können viele keine Speisekarte lesen, geschweige denn, einen Stimmzettel oder einen Handyvertrag) – und das, obwohl sie zur Schule gegangen sind.

Tatsächlich haben aber vier von fünf funktionalen Analphabeten einen Schulabschluss, davon jeder Fünfte die Mittlere Reife, jeder Achte sogar Abitur. Mehr als die Hälfte der Betroffenen geht zudem einem Job nach. Vom Dachdecker über Hausmeister bis Kellner oder Gärtner ist laut einer Erhebung von „Stiftung Lesen“ alles dabei.

Die bislang gängigste Theorie auf der Suche nach der Ursache fokussiert sich hauptsächlich auf die sozialen Umstände. Demnach nimmt die Entwicklung bereits im Elternhaus noch vor der Einschulung ihren Lauf. Dort erfahren die Betroffenen als Kinder nur Ablehnung, werden abgewertet oder vernachlässigt. Das geschriebene Wort spielt in den Haushalten eine untergeordnete Rolle, es wird nicht vor- oder selbst gelesen, nur selten etwas geschrieben. Kommen die Kinder dann in die Schule, haben sie Probleme, mitzuhalten und wegen der schwierigen Situation daheim auch Probleme, sich zu motivieren oder konzentrieren. Sie trauen sich wenig zu, halten sich für zu dumm. Lehrern fehlt hier oft die Geduld oder der Raum für individuelle Förderung.

Deshalb hiermit mein Appell: Bitte lasst uns alle genau hinschauen und fördern, wo es nur geht. Lasst uns gerade in der Weihnachtszeit „lesen“, wann, wo und wenn wir es können, wieder mehr „schreiben“ und „vorlesen“, damit es diesen Menschen wieder Spaß macht, mit der Sprache umzugehen. Dann wird Folgendes auch nicht mehr passieren:

In der U-Bahn auf meinem Heimweg musste ich miterleben, wie ein Junge aufgrund seines Analphabetismus gehänselt und verspottet wurde. Klar bin ich eingeschritten, aber wie viel hat es genützt?

Und wie immer: Wenn euch der eine oder andere Film/Blog gefällt, abonniert doch meinen YouTube Channel oder drückt mir bei Facebook https://www.facebook.com/InklusionsTV/ einen Daumen nach oben.
©Goldi

Hier geht’s übrigens zum Originalvideo von 37° (ZDF): https://www.youtube.com/channel/UCr0NE5QN724A0m_QNOshgyg